Deutsch-russischer Austausch „LA ViE“ – „REVERS“
Von
LGBT-Community REVERS Krasnodar und das queere Jugendzentrum LA ViE im deutsch-russischen Austausch: „Shaping the future together“
„Die wirkliche Entdeckungsreise besteht nicht darin, neue Landschaften zu erforschen, sondern darin, Altes mit neuen Augen zu sehen!“ Marcel Proust
In der Woche vom 29.10. bis zum 04.11.2019 haben wir beides verwirklicht! Das erste queere Jugendzentrum Baden-Württembergs, das LA ViE, hat das erste Projekt seiner Art aus der russischen Partnerstadt Krasnodar eingeladen – die LGBT-Aktivist*innengruppe „Revers“. Nachdem Letztere im vergangenen Jahr bereits die Fächerstadt mit einer Delegation zum CSD in Karlsruhe besuchten, stellten der stja und Queeramnesty in diesem Jahr einen Antrag beim Auswärtigen Amt, um mit einem erneuten Besuch die Grundlagen für die weitere, vertiefte Partnerschaft auszuloten.
Zwischen Karlsruhe und Krasnodar finden auf städtepartnerschaftlicher Ebene sowie in diversen Projekten – u.a. dem Jugend- und Fachkräfteaustausch – bereits seit Jahrzehnten Begegnungen und Delegationsbesuche statt. Und was sich seit Jahren bewährt, hat sich auch diesmal gezeigt: Begegnungen verbinden! Sie öffnen Herzen, Gedanken und Horizonte!
Die Situation für lesbische, schwule, transsexuelle, transgender, intersexuelle und queere Menschen (LSBTTIQ) in Deutschland und in Russland könnte unterschiedlicher kaum sein. In der Begegnung zwischen unseren Gästen aus der Millionen-Stadt nahe dem Schwarzen Meer und den Karlsruher*innen, die sie in den sehr intensiven Tagen begleitet haben, ist dies immer wieder deutlich geworden.
Beispielsweise bei unserer Stadtführung mit Halt vor dem Bundesverfassungsgericht, in welchem in den vergangenen fünf Jahren der Weg geebnet wurde für die „Ehe für Alle“ und für die „3. Option“, oder beim Besuch von „Hedwig and the angry Inch“ im jungen Staatstheater „INSEL“, einem Stück, welches das Thema Transgender in den Mittelpunkt stellt – die Möglichkeiten und Freiheiten in Deutschland hinterließen bleibende Eindrücke. „Wurdet ihr von allen am Theater bei diesem Stück unterstützt oder gab es Probleme?“ war eine der Fragen bei der anschließenden Gesprächsmöglichkeit mit den Schauspieler*innen, welche nur Gutes zu berichten wussten. Auf der anderen Seite erzählte Snezhana von den jungen schwulen Männern und lesbischen Frauen, die aus den tschetschenischen Folterlagern geflüchtet waren und bei ihnen Hilfe suchten und auch fanden.
Tiefe Einblicke für die über 30 Besucher*innen in die wichtige Arbeit von Revers in Krasnodar gab es auch bei ihrem öffentlichen Vortrag in den neuen Räumen von Amnesty International Karlsruhe.
Das LA ViE, die Queeramnesty und viele andere LSBTTIQ-Gruppen in Karlsruhe setzen sich seit ihrem Bestehen für öffentlichkeitswirksame Aktionen in Karlsruhe ein. Wir versammeln uns unter freiem Himmel, veranstalten öffentliche Demonstrationen und Events, um auf die Situation von LSBTTIQ-Personen in Deutschland und weltweit aufmerksam zu machen. Wir haben öffentliche Räume, Treffpunkte und die Unterstützung der Stadt Karlsruhe, der Polizei, des Oberbürgermeisters Dr. Frank Mentrup, der sich vor der Veranstaltung mit Revers zum Austausch traf, anschließend dem Vortrag beiwohnte und das Grußwort sprach. Wir freuen uns sehr, über diese tolle Zusammenarbeit und Unterstützung!
Wir konnten sehr nah erleben, wie anders sich die gleiche Arbeit anfühlen kann. Wir haben dieses Jahr unser erstes Sommercamp veranstaltet – in der Nähe von Schloss Gottesaue – mitten in der Stadt. Auch Revers veranstaltet Sommercamps, weit außerhalb. Wir zelebrieren seit einigen Jahren den IDAHOT am 17.05. auf dem Platz der Grundrechte – Politik und Presse sind anwesend. Revers versammelt sich heimlich an einem abgelegenen Ort, an dem sie die Luftballons und Banner schnell wieder einpacken und verschwinden können, doch wie sie berichteten, ist ihnen wichtig: „Wir möchten so gern Teil von etwas sein, was an diesem Tag weltweit zelebriert wird!“
Was die Situation in Russland so schwierig macht, ist das Gesetz, welches „Propaganda von nicht-traditionellen sexuellen Beziehungen gegenüber Minderjährigen“ unter Strafe stellt und 2013 erlassen wurde. Propaganda meint hier jede Form der positiven und zum Teil auch neutralen Darstellung von LSBTTIQ-Menschen und ihren Lebensweisen. Dieses untersagt unter anderem öffentliche Versammlungen wie die zum IDAHOT, das Tragen oder Aufhängen der Communityflaggen und auch, dass Minderjährige die wichtigen und tollen Beratungs- und sonstigen Angebote von Revers in Anspruch nehmen können. Die Jugendlichen müssen erst 18 Jahre alt werden, was verheerend ist, in Anbetracht der Tatsache, dass gerade im Coming-Out-Alter der Kontakt und die Unterstützung besonders wichtig sind.
Fazit der Teams von La Vie und Queeramnesty: „Wir hoffen sehr, dass wir Revers in diesen Tagen einiges an Power und Hoffnung mitgeben konnten, um ihre wichtige Arbeit vor Ort weiterführen zu können. Zurück bleibt bei uns die Dankbarkeit für ein weitestgehend sicheres Leben in Deutschland und die Freude auf ein Wiedersehen in Krasnodar, denn „Die wirkliche Entdeckungsreise besteht nicht darin, neue Landschaften zu erforschen, sondern darin, Altes mit neuen Augen zu sehen!“.
Dieses Projekt konnte nur verwirklicht werden mit der freundlichen Unterstützung durch das Hauptamt der Stadt Karlsruhe und durch Projektmittel des Auswärtigen Amts zum Ausbau der Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in den Ländern der Östlichen Partnerschaft und Russland – 2019.
(Foto: Elisabeth Steiner )